
Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird in deutschen Zeitschriften und Zeitungen häufig als etwas beschrieben, das es gar nicht gibt. »Allein das Wort ist eine Beschönigung«, schreiben Susanne Garsoffky und Britta Sembach in einem Beitrag für eine Wochenzeitung. »Denn es gibt nur ein Nebeneinander zweier völlig unterschiedlicher Lebensbereiche, die sich, wenn man sie gleichzeitig ausübt, einfach addieren.«[1] Die Journalisten Marc Brost und Heinrich Wefing klagen, ihr Leben zwischen den Erwartungen ein toller Vater und gleichzeitig ein hervorragender Journalist sein zu müssen sei die »Hölle«: »Es gibt keinen Ausweg aus diesem Dilemma. Aber es könnte schon eine Hilfe sein, das einmal auszusprechen, statt immer weiter die Vereinbarkeitslüge zu verbreiten. Denn auch die produziert wieder nur: Stress.«[2] Die Vereinbarkeitsei Fiktion, heißt es auch im Kölner Stadtanzeiger: »Es ist nämlich ein Märchen, dass alles nur eine Frage der Organisation ist, um liebevolle Eltern, hingebungsvolle Partner und erfolgreiche Arbeitnehmer auf einmal zu sein. In Wahrheit gibt es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht.«[3]
In der öffentlichen Debatte ist Vereinbarkeit bisher lediglich ein Versprechen, das nicht eingehalten wird, weder von der Politik noch von den Unternehmen. Sie wird als ein Konflikt beschrieben, der nicht zu lösen ist. Vereinbarkeit, schreibt der Soziologe Florian Kreutzer, wird vor allem als Un-Vereinbarkeit empfunden.[4] Das liege auch daran, dass Vereinbarkeit nach wie vor als ein Frauenproblem gelte. Vereinbarkeit gilt danach als eine Sackgasse.
Definitionen schaffen Wirklichkeiten. „All sorrows can be born if you put them into a story“, schrieb Hannah Arendt [5]. Wie über Vereinbarkeit öffentlich gesprochen wird, formt unsere Wahrnehmung. Die öffentlichen Erzählungen sorgen dafür, ob wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als unlösbar (also unveränderbar und damit weiterhin als ein Frauenproblem) oder als eine allgemeine zu lösende Herausforderung verstehen, die alle etwas angeht: Frauen, Männer, Unternehmen, Politik. Es ist deshalb möglicherweise an der Zeit, Vereinbarkeit durch andere Begriffe zu ersetzen. Work-Life-Balance sei ein »dynamischerer, aktiverer und spannungsreicherer Begriff«, meint zum Beispiel Karin Jurczyk.[6] In der deutschprachigen, wissenschaftlichen Literatur fällt der Begriff von der Work-Life-Balance interessanterweise vor allem in der feministischen Forschung. Life ist damit im Grunde alles, was nicht work ist, Freizeit, Sport, Familie, Ehrenamt und so weiter. Statt von Vereinbarkeit von Work-Life-Balance zu sprechen erscheint zunächst unverfänglicher, möglicherweise anschlussfähiger, zumal der Begriff auch international gebräuchlich ist. Den Begriff der Vereinbarkeit durch Work-Life-Balance zu ersetzen sei eine Strategie der Neutralisierung, meint Florian Kreutzer[7]. Work-Life-Balance wird als geschlechtsneutraler beschrieben.[8]
Doch auch der Begriff von der Work-Life-Balance ist nicht so unverfänglich wie er zunächst klingt. Denn die Metapher von der Work-Life-Balance stammt schließlich aus den USA, einem Land, das bisher noch immer weder staatlichen Mutterschutz noch Elternzeit garantiert und die Vereinbarkeit jedem einzelnen überlasst. Work-Life-Balance impliziert, das jeder für seine eigene Balance verantwortlich ist. Das ist aufgrund gegebener gesellschaftlicher Faktoren für jeden unterschiedlich schwierig und unterschiedlich machbar. In der anglo-amerikanischen Literatur ist auch von work-family conflict(WFC) oder work-life-conflict(WLC) die Rede, von work interference with family (WIF) und family interference with work(FIW). Und so dreht sich das Metaphern-Karussell weiter. Wirklich zugkräftige Metaphern gibt es bisher offenbar noch nicht.
Das liegt auch daran, dass das Empfinden von Vereinbarkeit starken Dynamiken unterliegt. Noch vor ein bis zwei Jahrzehnten galt zum Beispiel Teilzeitarbeit hierzulande als ein prima Konzept für Frauen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Heute ist allgemein bekannt: Teilzeit führt leider häufig finanziell und karrieretechnisch in eine Sackgasse, lässt das das Armuts-Risiko für Frauen massiv ansteigen und fördert alles andere als die Chancengleichheit.
Wie Vereinbarkeit formuliert und erlebt wird, hat auch stark kulturelle Einflüsse. Unter Vereinbarkeit oder Work-Life-Balance wird in asiatischen Kulturen zum Beispiel etwas ganz anderes verstanden als in Nordamerika oder Europa. Während hierzulande vollzeitarbeitende Mütter noch immer von Schuldgefühlen heimgesucht werden, wird in China ein zeitliches Opfer zugunsten der Arbeit als loyale Leistung für die Familie betrachtet, etwas, dass jetzt Kosten verursacht, aber auf langfristige Sicht Nutzen bringt. Eine starke familiäre Loyalität sorgt in China dafür, dass Frauen sich auch finanziell für die Versorgung von Kindern, aber auch für die älteren Familienmitgliedern verantwortlich fühlen und diese außerhalb der Familie verbrachte Zeit auch als sehr wertvoll für die Familie betrachten. Arbeit ist danach schlicht ein Mittel, um die Familie finanziell zu versorgen, unabhängig vom Geschlecht. In den sehr bildungsorientierten asiatischen Gesellschaften erwarten Familien zudem, dass Investitionen in die Bildung ihrer Kinder sich auch auszahlen. Auch die Töchter stehen unter dem Zugzwang, Erfolg zu haben, Karriere zu machen.
Kulturvergleichende Studien unterstreichen allerdings auch, dass mangelnde Vereinbarkeit fern kultureller Zuschreibungen Stress auslöst. Überlastung durch eine schlechte Work-Life-Balance ist ein globales Problem und stark abhängig von politischen Unterstützungsinstrumenten und einer mehr oder weniger guten Betreuungsinfrastruktur.[9] Frauen und Männer in Skandinavien klagen in internationalen Studien seltener über Stress, ökonomische und familiäre Verpflichtungen zu vereinbaren. Sie können sich dort vor allem auf ein gut ausgebautes Betreuungsnetz verlassen.
Die Vorstellungen von Work-Life-Balance oder Vereinbarkeit ändern sich je nach der Perspektive des Betrachters. Aus unternehmerischer Sicht wird eine gute Work-Life-Balance häufig als wünschenswert beschrieben, um Konzentration und Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz zu sichern. Das Bewerben von Familienfreundlichkeit und Work-Life-Balance-Konzepten dient auch als Lockmittel auf dem Arbeitsmarkt um begehrte Fachkräfte.
Doch es sollte auch dort viel mehr sein als nur dies. In jedem Unternehmen, in jeder Partnerschaft ist ein lebendiger Diskurs über Vereinbarkeit, Partnerschaftlichkeit oder Work-Life-Balance sinnvoll und nötig. Es gilt neue Metaphern zu erschaffen, die noch nicht abgenutzt sind und Müdigkeitsattacken auslösen. Denn die Debatte ist zu wichtig, als im diskursiven Tod durch Langeweile zu enden. Ganz besonders der jüngeren Generation ist das Privatleben zunehmend genauso wichtig wie ein zufriedenstellendes Berufsleben. Millenials sprechen häufig von einem guten, fairen Leben als gesellschaftliche und ökonomische Herausforderung und nicht unbedingt mehr von Vereinbarkeit als ein nicht zu lösendes Problem.
mehr dazu: www.michaela-schonhoeft.de
[1]Susanna Garsoffky & Britta Sembach, Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind, in: »Die Zeit«, 2.10.2014
[2]Marc Brost, Heinrich Wefing, Geht alles gar nicht, in: »Die Zeit«, 30.1.2014
[3]Alexandra Ringendahl, Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein Märchen, in: »Kölner Stadt-Anzeiger«, 8.5.2015
[4]Kreutzer, Florian (2013): Die Frauenfalle, transcript, Bielefeld
[5]Arendt, Hannah (2007), Vita activa oder Vom tätigen Leben, Piper, München
[6]Jurczyk, Karin (2005), Work-Life-Balance und geschlechtergerechte Arbeitsteilung. Alte Fragen neu gestellt, in: Seifert, H. (Hg.), Flexible Zeiten in der Arbeitswelt, Campus Verlag, Frankfurt/New York, S. 110
[7]Kreutzer, Florian (2013): Die Frauenfalle, transcript, Bielefeld Kreutzer 2013: S. 28 f
[8]Oechsle, Mechtild (2010), Work-Life-Balance: Diskurse, Problemlagen, Forschungs-perspektiven, in: Becker, Ruth, Kortendiek, Beate (Hg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, S. 234–243, Springer, Wiesbaden
[9]Heyman, Jody (2006), Forgotten Families, ending the growing crisis confronting children and working parents in the global economy, Oxford University Press, New York
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